Vor einiger Zeit hatten wir in einem Projektteam einen etwas anstrengenden Kollegen. Trieb jeden in den Wahnsinn. Wusste immer alles besser. Hatte selbst an Nobelpreis-Ideen noch was auszusetzen. Bei den Teambesprechungen spürte ich regelmäßig die Galle hochkommen und den Gedanken: „Jetzt geht das wieder los! Dieser Haarspalter! Ich könnte ihn …“
Ich tobte gedanklich ein paar Minuten, bis es mir gelang, mich innerlich auszuklinken. Ich wurde cool, abgeklärt, gelassen, souverän. Ich hatte ihm den Zugriff auf meine Gefühle entzogen. Wie?
Indem ich mir sagte: „Für sowas stehe ich jetzt nicht zur Verfügung.“ Früher, als ich das affektive Ausklinken noch nicht so gut konnte, sagte ich mir diesen Gedanken immer und immer wieder vor. Wie ein Mantra. So simpel der Satz ist, er wirkt erstaunlich.
So erstaunlich, dass darauf eine ganze Methode aufbaut: Die Sedona-Methode nach Lester Levenson und Hale Dwoskin. So erstaunlich, dass Olaf Jacobsen einen Bestseller dazu geschrieben hat: „Ich stehe nicht mehr zur Verfügung.“ Das Prinzip dahinter ist einfach: Belastende Gefühle kann man nicht verdrängen (Magengeschwür!) und man sollte sie nicht immer ausleben (erwürgen konnte ich den Kollegen ja schlecht). Aber man kann sie loslassen. Zum Beispiel, indem man ihnen freundlich (und gegebenenfalls wiederholt) sagt, dass man/frau für sowas grad nicht zur Verfügung steht. Dann sind sie weg.
Das kommt beim andern an. Immer dann, wenn ich mir mein Mantra dachte, spaltete der Kollege weiter Haare – aber nicht mehr meine. Ohne dass ich ihn hätte („Blöder Hund, lass den Quatsch!“) brüskieren müssen. Nein, ich musste nicht einmal etwas sagen. Er ließ von selber von mir ab. Nicht bewusst. Sondern weil er unbewusst registrierte: Ich gebe ihm nicht, was er braucht. Er brauchte Widerworte oder Unterwerfung. Beides gab ich ihm nicht. Wenn wir unter vier Augen redeten, reichte das schon, ihn aus seiner Problemtrance zu werfen.
Denn glücklich war auch er damit nicht. Er konnte bloß nicht anders. Auch er steckte jedes Mal in der Rille seiner Verhaltensprädisposition fest. Es sei denn, man ging nicht auf seine unbewusste Provokation ein. Dann wurde er unsicher, ruderte etwas herum – und fand schließlich zum normalen Sprachgebrauch zurück. Man konnte wieder vernünftig mit ihm reden. Ohne dass ich mich gegen sein Verhalten hätte verbal abgrenzen müssen. Keine Intervention ist oft die beste Intervention.
In Team- und Kommunikationstrainings werde ich häufig gefragt: „Wie stoppt man schwierige Menschen?“ Am besten, indem man sie nicht stoppt. Denn sie überfahren jedes Stoppschild. „Was erwidert man schwierigen Menschen?“ Nichts. Nicht erwidern, sondern loslassen, nicht mehr zur Verfügung stehen. Nach einem Wochenend-Training sagte eine Kollegin aus dem fünfköpfigen Trainerteam: „Wow, wir haben uns alle jetzt zwei Tage lang fürchterlich von ihm nerven lassen – nur du nicht. Ich finde es toll, dass dich nichts aufregen kann. Ich hab dich manchmal angeschaut und du hast ausgesehen, als ob dich nichts und niemand aus der Ruhe bringen kann.“ Kann es nicht.
Denn ich stehe für Ruhestörungen nicht mehr zur Verfügung. Mit dem Ich-stehe-nicht-zur-Verfügung-Gedanken kann ich mich und kannst du dich unabhängig machen von dem, was täglich, minütlich auf uns einstürzt. Dieses Loslassenkönnen ist nichts, was dir oder mir in die Wiege gelegt worden wäre. Das ist ein Muskel, der wie jeder andere Muskel auch trainiert werden will. Manche trainieren für sich, andere im Seminar oder Coaching. Was immer dir passt.
Wer trainiert, bleibt mit jeder Trainingseinheit stärker zentriert, bei sich, in der eigenen Mitte, bei der eigenen Einstellung – und nicht bei dem, was ihm/ihr von außen, von anderen, vom Stress und der Hektik aufgedrängt wird. Das funktioniert in allen Lebenslagen.
Manche reagieren schon allergisch, wenn sie den Namen von einem schwierigen Mitmenschen im Display vom Smartphone aufblinken sehen: „Och nee, nicht der/die schon wieder!“ Und sofort kommen das innere Bild und das Gefühl hoch: Der/die wieder mit ihren überzogenen Ansprüchen und der Wichtigtuerei und den unerträglichen Exkursionen in die eigene Scheingenialität und und und. Nimm all das, was da hochkommt ins Visier und sag zu jedem einzelnen in Gedanken: „Nein danke, dafür stehe ich jetzt nicht zur Verfügung und dafür nicht und für jenes auch nicht.“ Sag es in Gedanken so oft, bis es wirkt. Jede Wiederholung steigert die Dosis.
Im Coaching berichten Coachees mit besonders feiner Körperwahrnehmung, dass sie physisch spüren, wie das belastende Gefühl ihren Körper verlässt, der Druck im Bauch oder die Spannung im Nacken oder im Kaumuskel einer total relaxten Entspannung weicht. Das ist der Aaaaah-tut-das-gut!-Effekt. Aufatmen. Erleichterung. Totale Gelassenheit. Gelassenheit kommt von Loslassen.
Kleiner Tipp: Probier das nicht zuerst in einer Lebenslage, in der dein Chef dich anbrüllt. Trainier erst an weniger heftigen Situationen. Wenn du klein anfängst und dich schrittweise steigerst, kann ich dir den Erfolg garantieren. Du brauchst diese Garantie nicht. Denn die Aussicht, in wirklich jeder Lebenslage locker, gelassen und souverän zu bleiben, ist attraktiv genug.