Change

Wirf deinen Ballast ab!


Was kannst du super? Was fällt dir leicht? Ich dachte immer: „Ich red doch nur mit den Leuten und plapper einfach so drauf los.“ Viele Menschen sagten zwar immer wieder zu mir: „Schreib das auf! Das sind tolle Ideen! Die hätten wir auch gerne bei uns, wenn du nicht da bist.“ Und ich so: „Aber ich bin doch keine Schriftstellerin!“ Wenn ich einfach so drauflosrede und mich mit interessanten Leuten unterhalte, fällt mir das so leicht, macht mir das so viel Spaß – das kann doch kein Blog sein! Und erst recht kein Fachbuch oder ein Ratgeber.

Was ist dein Genius? Jeder Mensch hat etwas, das ihm leicht fällt und in dem er absolut genial ist. Die meisten machen das dann als Hobby. Was für eine Verschwendung! Wenn man sie fragt, warum sie diese Genialität nicht auch in Beruf, Beziehung und Familie einbringen, schauen sie einen groß an. Ich auch. Als immer mehr Menschen mir sagten, ich hätte Autoren-Qualität, konnte ich das zwar allmählich glauben – aber gefühlt habe ich es nicht. Das konnte ich nicht.

Denn schon ganz früh als Kind hatte ich gelernt: „Ohne Fleiß kein Preis!“ Als Kind folgerte ich daraus: Wenn es mir leicht fällt, ist es nichts wert. Das war zu Schulzeiten praktisch alles, außer Mathe und Physik. Wenn ich in allen andern Fächern gute Noten schrieb, sagten mir alle: „Schön, dass dir das so leicht fällt, aber in Mathe und Physik musst du einfach mehr machen, dich mehr anstrengen, dich stärker bemühen.“ Das war gut gemeint und brachte mich auch weiter – man braucht Mathe und Physik. Aber das Kind dachte dabei: Leistung zählt nur, wenn du dich angestrengt hast. Man nennt solche Gedanken Antreiber (Driver).

Wir alle sind Getriebene. Jeder von uns trägt zwei, drei Antreiber mit sich herum, die sich in unterschiedlichen Situationen aktivieren. Die Transaktionsanalyse nach Eric Berne kennt fünf besonders häufige und hinderliche Antreiber:

  1. Be Perfect! Sei perfekt!
  2. Try Hard! Streng dich an!
  3. Hurry Up! Beeil dich!
  4. Please Others! Mach es allen recht!
  5. Be Strong! Sei stark!

Meiner war jahrelang Try Hard! Streng dich an. Als ich zu schreiben anfing, fiel mir das leicht. Ich redete/schrieb einfach so drauflos. Und das strengte überhaupt nicht an! Also ließ ich es gleich wieder sein. Denn wenn es nicht anstrengt, ist es keine echte Leistung. Selbst wenn ich den Nobelpreis für Literatur bekommen hätte: Ich hätte dabei nichts gespürt. Höchstens ein schlechtes Gewissen, weil es mir so/zu leicht fällt. Denn Antreiber treiben uns nicht nur in die falsche Richtung, sie rauben uns auch jede Wertschätzung für das, was wir tun.

Ein Hauptabteilungsleiter sagte im Coaching: „Ich habe einen Abteilungsleiter – der lässt sich nicht loben! Was stimmt mit dem nicht? Der hat die kompletten Quartalszahlen in nur zwei Tagen aufgestellt. Und als ich ihn dafür lobte, sagte er: ‚Ja, schon, aber ich habe dafür zwei volle Tage gebraucht!‘ Alle andern brauchen eine Woche!“ Doch er nahm die Anerkennung nicht an. Er fühlte sich nach dieser Superleistung nicht super. Er war nicht stolz auf diese stolze Leistung. Warum nicht?

Weil Hurry Up! ihm ins Hirn spukt. Weil es nicht schnell genug war (sagt sein Antreiber), ist es nicht gut genug. Die meisten Menschen, die täglich auf 180 rotierend Vollstress machen und nicht mal Zeit zum Atmen haben, leiden nicht unter Zeitnot, sondern unter diesem Antreiber. Auch ich litt unter meinem Antreiber. Warum gibt es diesen Blog dann trotzdem? Warum schreibe ich, obwohl das doch keine „richtige Arbeit“ ist?

Der Groschen fiel bei mir ausgerechnet bei einer Fahrradtour. Da einige Super-Mountain-Biker mitfuhren, hatte ich vorab meine Bedenken wegen meiner strikt freizeitgerechten Kondition geäußert. Während der Fahrt radelten dann ständig welche der Super-Cracks neben mir her und lobten abwechselnd und hörbar ehrlich: „Dafür, dass du nie trainierst, hast du eine Bombenkondition, Hut ab, Respekt.“ Ich hörte das. Ich konnte das intellektuell nachvollziehen, weil ich sah, dass ich wirklich gut mithalten konnte und nicht mit zwei Kilometern Rückstand hinterherkeuchte. Aber ich fühlte es nicht. Nichts. Kein Stolz, keine Genugtuung, keine Freude. Warum?

Und jetzt alle: Weil es mich nicht anstrengte! Weil ich nicht schweißgebadet der Ohnmacht nahe fast ausm Sattel gekippt bin. Dann konnte es ja auch kein richtiger Erfolg sein. Alle freuten sich, alle hatten gute Laune, alle waren stolz auf ihre sportliche Leistung – bloß ich nicht! Das gab mir zu denken. Ich begann noch im Sattel recht gefrustet darüber nachzudenken, womit um alles in der Welt ich mich um meine verdiente und auch noch von der ganzen Radgruppe vermittelte Erfolgsfreude brachte. Weil mein Antreiber so allgegenwärtig war (das sind sie alle), fiel es mir auch relativ zügig ein und auf: Ich leide unter „Vor den Erfolg haben die Götter den Schweiß gesetzt!“ Keinen Schweiß vergossen? Dann ist das auch kein Erfolg und kein Grund zur Freude. Sobald ich das gedanklich erkannt hatte, kam die Wut.

Und der Frust. Die Ernüchterung, die Trauer, der Zorn und die Enttäuschung darüber, dass ich mich jahrelang von einem Glaubenssatz hinters Licht führen und um viele Erfolge und Freuden hatte bringen lassen. Vor allem die Wut darüber, dass mein Antreiber mich so lange davon abgehalten hatte, viele Tätigkeiten, die mir wirklich Spaß und Freude machen und Erfolg bringen, auch tatsächlich auszuüben. Wut darüber, dass ich so vieles nicht hatte aus mir herausgelassen, was unbedingt herauswollte. Der ganze Spaß, die ganzen Talente, die nie raus durften, bloß weil sie Spaß machen. Und Erfolg. Das tat weh. Viele Menschen scheuen diesen Schmerz.

Deshalb sind Antreiber so hartnäckig. Leider gilt bei der mentalen Fitness das Gegenteil von der physischen Fitness. Beim Konditionstraining beißen wir die Zähne zusammen und ignorieren den Schmerz. Bei der mentalen Fitness gilt: If you can’t feel it, you can’t heal it. Wer den Schmerz der Erkenntnis nicht zu spüren bereit ist, den treibt sein Antreiber weiter wie den sprichwörtlichen Esel vor sich her. Der Schmerz über meine jahrelange Selbstbehinderung war heftig, aber kurz: Feeling it – healing it. Danach war Ruhe. Und ich begann zu schreiben. Und es zu genießen. Das Schreiben, die Radtouren, den Erfolg und die guten Gefühle.

Am meisten stehen wir uns selbst im Weg. Wir wissen das im Grunde alle. Doch womit wir uns im Wege stehen, weiß kaum jemand. Den eigenen Antreibern auf die Schliche zu kommen, erfordert etwas Spürsinn. Und die Bereitschaft, den Sekundenschmerz auszuhalten. Danach herrscht Ruhe im Karton – und eine Freiheit, die im wahrsten Sinne des Wortes grenzenlos ist. Weil die innere Freiheit keine Grenzen kennt. Ich wünsche dir diese innere Freiheit.