Das fragen wir uns alle irgendwann. Wenn der Job (die Beziehung, Ehe, Familie, Gesundheit, Finanzen …) bedroht oder weg ist. Wenn wir schon viel zu lange in derselben Rille laufen. Wenn wir endlich mal was Neues machen, erleben wollen. Wie geht’s weiter mit meinem Leben?
Ich habe mir in den letzten Wochen diese Frage gestellt. Und lange überlegt. Was anstrengend war. Als Belohnung kam heraus: Jetzt weiß ich wenigstens, was ich möchte und wie ich es möchte. Anstrengend war und ist das nicht nur, weil solche Gedankenspiele „ans Eingemachte“ gehen. Anstrengend ist das auch, weil wir ja „nebenher“ noch einen Full-Time-Job, Beziehung, Kinder (falls zutreffend) und ein Privatleben haben.
Wenn ich in Seminaren über die „Wie geht’s weiter?“-Frage spreche, nickt die Hälfte der TeilnehmerInnen: „Geht mir auch so. Ich will schon lang was anderes machen – könnte jetzt aber aus dem Stand nicht sagen, was.“ Ich verrate dir ein Geheimnis: Niemand kann das aus dem Stand heraus.
Oder über Nacht. Oder auf eine Eingebung hin. Das ist wie Sudoku: Niemand löst das aus dem Stand. Wer das lösen will, wird kniffeln und knobeln. „Heute ist der erste Tag vom Rest deines Lebens!“, sagt der Postkartenspruch. Okay – und was fang ich damit an? Mit dem Rest vom Leben? Das steht nicht auf der Postkarte. Weil wir es meist selbst nicht wissen.
Ich zum Beispiel dachte, wie viele, dass mir finanzielle Sicherheit im Berufsleben am wichtigsten sei: Keine Experimente! Keine „Künstlerjobs“ (nichts gegen Künstler). Bis ich mir in den letzten Wochen diese selbstauferlegten Imperative anschaute und mir auffiel: Meine in den letzten Monaten gewachsene Unzufriedenheit mit mir und der Welt könnte auch damit zusammenhängen, dass ich des Guten zu viel abbekommen hatte: So viel Sicherheit, dass mein Freiheitsdrang in letzter Zeit zu kurz kam. Das war mir neu. Aber als ich nach langem Nachdenken und -spüren draufkam, hatte ich meinen Aha-Moment. Wie kann das sein?
Wie können wir nicht wissen, was uns wichtig(er) ist? Wie können uns unsere Motive, Interessen, Glaubenssätze und Bedürfnisse nicht präsent sein? Ist das nicht verrückt? Nein, das ist (leider) normal. Man nennt das auch mangelnde Reflexion. Wir arbeiten X Stunden am Tag, schlafen Y Stunden und widmen Z Stunden Familie, Haushalt, Freizeit, Essen. Wie viele Stunden reflektieren wir? Pardon: Wie viele Minuten? Sekunden? Wir denken über so vieles nach, bloß nicht über uns selbst. Und wenn, dann grübeln wir oder machen uns Selbstvorwürfe oder üben uns in Verdrängung. Wenn wir uns dann tatsächlich den Ruck geben und endlich auch über uns selber nachdenken, fällt es uns wie Schuppen von den Augen.
Ich zum Beispiel habe mir schon immer lieber meine beruflichen Aufgaben aus dem Sortiment des Anstehenden herausgepickt als sie mir und sei es von einem noch so zuvorkommenden Vorgesetzten angeben zu lassen. Ich mache nicht gerne von vorne herein Arbeitspaket X. Ich suche es mir lieber aus den Paketen W bis Z aus. „Eigentlich“ wusste und spürte ich das schon lange. Aber ich tat es viel zu wenig. Weil ich mich in meiner vermeintlichen Top-Priorität, der finanziellen Sicherheit, so behaglich eingerichtet hatte. Ist aber auch sowas von gemütlich! Wegen dieser Komfortzonenstarre fehlte mir der Mut, etwas Neues zu probieren. Etwas, bei dem ich mehr Freiheiten haben könnte. Wieso habe ich jetzt diesen Mut?
Weil ich mich erinnerte: Das Leben ist nicht entweder/oder. Es ist nicht „Freiheit oder Sicherheit“! Es ist sowohl/als auch. Ich habe mich nicht für das eine und gegen das andere entschieden. Sondern ich versuche in diesen Tagen, beides zu kombinieren. Die Sicherheit wahre ich so weit wie möglich, aber die Freiheit probiere ich gerade aus. Das sind meine beiden Testvariablen. Das Verfahren funktioniert aber auch mit allen anderen Paaren von prima facie konfliktären Entweder-Oder-Werten. „Du kannst nicht alles haben!“ sagen Väter und Mütter zwar gerne, aber es stimmt nicht. Du kannst alles haben – wenn du nur genügend Mix-Kombinationen durchprobierst. Probieren geht über Resignieren. Warum probieren wir es so selten?
Weil uns diese elterliche, schulische und sozio-kulturelle Prägung ein Bein stellt. Bei mir war es der Glaubenssatz: „Wenn du dich nicht wirklich angestrengt hast, ist es nichts wert!“ Work hard, nennen Transaktionsanalytiker diesen Antreiber. Wenn ich mir in Schulfach X fast einen abgebüffelt hatte, aber „nur“ eine Drei nach Hause brachte, hieß es: Warum hast du dich nicht mehr angestrengt? Wenn ich in Fach Y mit Leichtigkeit, eben weil mir das Fach Spaß machte, eine Eins kriegte, hieß es: „Keine Kunst, so leicht wie dir das fällt!“ Ich verstehe das. Das ist ja auch sinnvoll: Kinder sollen lernen, dass Anstrengung sich lohnt.
Wenn ich jedoch seither, gut konditioniert, stets mit viel Anstrengung auf Nummer Sicher gehe und mir all das versage, was mir mit Leichtigkeit Freude und Erfolg bringen könnte, dann habe ich mehr gelernt als ich sollte. Wir alle haben das. Schöner Trost: Alles, was wir früher gelernt haben, können wir heute entlernen. Und morgen. Und … Also blogge ich jetzt, mache eine eigene Website, halte Vorträge und Seminare und coache sehr viel mehr Führungskräfte als bisher. Weil mir all das die Freiheit zurückgibt, die ich so schätze (und andern Menschen hilft). Manchmal klagen Coachees: „Jetzt, mit Mitte 40 erst, fällt mir ein, was ich eigentlich schon lange viel lieber machen möchte!“ Ich halte das für keine Klage. Ich halte das für eine Epiphanie, eine Offenbarung.
Denn ein vernünftiger Mensch braucht eben 20, 30, 40 Lebensjahre, um auf das zu kommen, was ihm wirklich wichtig ist. Es dauert seine Zeit, bis man/frau sich selbst auf die Schliche kommt. Es geht schneller, wenn einem jemand dabei hilft. Mir half mein Coach. Ja, auch Coaches haben Coaches. Es geht leichter mit.
Wie geht’s mit deinem Leben, deinem Beruf, deiner Karriere weiter?