Neulich hatte ich eine Klientin, die sich das Coaching nicht leisten konnte. Wir ließen es dann schweren Herzens. Denn eigentlich hätten wir kein Geld gebraucht. Sie ist eine tolle Graphikerin und ich brauchte für ein, zwei Fachartikel graphische Unterstützung. Also hätten wir auch vereinbaren können: Ich coache sie und sie bezahlt mich. Ohne Geld. In Zeit.
Wir tauschen einfach. Meine Coaching-Zeit gegen ihre Graphik-Zeit. Der Witz ist natürlich: Darf man nicht. Ich bin kein Jurist, aber wie mir Juristen versichern, läuft das unter „Schwarzarbeit“ und „Steuerbetrug“. Denn wenn das jeder so macht, entgeht dem Staat jede Menge Umsatz- und Einkommensteuer. Vielleicht zögert unser Staat deshalb schon so lange mit der angedrohten Bargeldabschaffung: Er könnte sich unter Umständen selber damit abschaffen, wenn es dumm läuft. Aber lassen wir mal die juristischen Bedenken außen vor und lassen wir die Phantasie spielen: Reichtümer tun sich auf!
Selbst wer keinen Cent besitzt, ist reich wie Elon Musk. Wir sind alle gleich reich: Jeder von uns hat 24 Stunden am Tag. Jeden Tag. Was für ein Reichtum! Wenn man Zeit als Währung begreift.
Diese Währung greift, jetzt ohne juristische Vorbehalte, auch und gerade im Job. Ein Coachee hat ein Projekt und braucht drei Laborstunden, hat aber kein Budget dafür. Also tauscht er mit dem Laborleiter drei seiner Stunden: Er ist Ingenieur und der Laborleiter braucht gerade für drei Stunden etwas Engineering. Der Vorstand gibt dem Projektleiter keinen Cent fürs Labor, aber der Projektleiter holt sich die Laborstunden trotzdem. Weil er reicher ist als der Vorstand. Denn er hat Zeit.
Zeit ist die einzig stabile Währung. Sogar Gold schwankt ständig im Kurs. Zeit dagegen haben wir alle gleich viel – und sie unterliegt keiner Inflation und keinen Kursschwankungen. Wenn Draghi so weitermacht, ist unser Geld bald gar nichts mehr wert, dann bleibt für die (Tausch)Wirtschaft nur noch die echte, harte Währung übrig. Zeit ist immer etwas wert. Im Süden Deutschlands wurden ganze Dörfer so gebaut: Der Maurer, der Architekt, der Zimmermann, der Maler und der Elektriker helfen dem Sanitärinstallateur, sein Häusle zu bauen. Dafür hilft der Installateur dann dem Maurer, dem Architekten und so weiter ihre Häusle zu bauen. Ich weiß, wir reden hier auch über Schwarzarbeit. Ich befürworte diese natürlich nicht. Aber wir verlassen uns viel zu sehr aufs Geld und lassen die bessere Währung zu oft im Portemonnaie stecken.
Neulich wieder klagte ein Kollege, dass er an Reporting und Controlling bald ersticke. Warum macht er es denn selber? Warum beauftragt er nicht den einen Kollegen damit, der in beidem spitze ist und beides gerne macht – und schenkt ihm für die aufgewendete Zeit dann etwas von seiner Zeit? Anstatt diese Aufgaben in dreimal so viel Zeit selber machen zu müssen und dabei noch Währungen zu verschleißen, die ebenfalls wertvoller sind als Geld: seine Nerven, seine Energie, seine Arbeitszufriedenheit und Lebensfreude.
Meine Zeit gegen deine. Der kleine Dienstweg funktioniert so. Und wie wir wissen, ist der kleine Dienstweg für die meisten Unternehmenserfolge verantwortlich. Nachbarschaftshilfe funktioniert so, manche Dörfer noch, indigene Völker, einige Vereine, Mannschaften, Netzwerke. Warum wird das nicht häufiger praktiziert?
Weil die meisten Menschen nur noch in Geld denken können. Sie denken: Wenn ich das Geld nicht habe, kann ich mir meinen Wunsch, mein Vorhaben, mein Projekt nicht leisten! Zu kurz gedacht. Zeit hast du immer. Auch Zigaretten waren schon mal Währung – und sind es noch, zum Beispiel im Knast. Ziegel, Lebensmittel, Gutscheine … Es gibt viele Währungen. Geld ist die Währung der Phantasielosen. Du hast etwas viel Besseres.
Du hast Zeit. Was fängst du damit an? Oder anders gefragt: Was kostet die Welt? Ich habe ein ganzes Leben Zeit.