Du sitzt im Meeting und – oh Gott, bitte nicht schon wieder!
Eigentlich kommt ihr gut voran. Bis urplötzlich – es ist immer derselbe Kollege/dieselbe Kollegin, der oder die sein/ihr Fass aufmacht. Alle stöhnen innerlich, alle rollen mit den Augen, doch der Kollege/die Kollegin kennt keine Gnade. Wie schon dutzendfach zuvor. Neulich war deshalb wieder eine Führungskraft bei mir – ein häufiger Coaching-Grund. Eine Abteilungsleiterin.
Sie ist Mitglied in einem zehnköpfigen Projektteam und in wirklich jedem Meeting passiert dasselbe. Alles ist gesagt, da setzt ein Kollege zum Lamento an. Mit immer demselben Thema, für das es schon vor Wochen eine klare konsensuelle Lösung gab und das Commitment von neun Personen – bloß von ihm nicht. Neun rollen mit den Augen und lassen es über sich ergehen. Woche für Woche.
Die Abteilungsleiterin wollte wissen: „Wie fange ich den Kollegen wieder ein, damit er das sein lässt?“
Ich meinte: „Am besten gar nicht. Wenn der loslegt, hängt er in seiner Schleife fest. Der kann nicht anders. Wenn er das in bislang jeder Woche machte, dann macht er es auch in jeder weiteren Woche.“ Wie Albert J. Bernstein, berühmter US-Psychologe („Emotional Vampires at Work“) sagt: Der beste Prädiktor für künftiges Verhalten ist vergangenes Verhalten.
Die Abteilungsleiterin darauf: „Ja aber was sollen wir dann machen? Ich halte das einfach nicht mehr aus. Alles läuft super, die Stimmung ist gut, alles Nötige ist besprochen, jeder weiß, was zu tun ist und dann kommt er wieder daher, zieht einen total runter, macht das Klima kaputt, dass man sich sagt: Wär ich doch heut Morgen gar nicht erst aufgestanden.“
Dafür gibt es ein einfaches Mittel: Geh einfach. Geh raus.
Und sie: „Wie? Einfach so?‘“
Ja, natürlich. Du sagst doch, dass du das nicht aushältst. Warum solltest du dann etwas aushalten, was du nicht aushältst? Das ist doch irre. „Hm, stimmt eigentlich. Bin ich bloß noch nie draufgekommen.“ Das sagen fast alle. „Aber das darf man doch nicht! Einfach rausgehen!“
Sagt wer? Steht wo im Betriebsverfassungsgesetz? In der Genfer Konvention? Dass du nicht aus einem Meeting rausgehen darfst? Dass du Dinge ertragen musst, die unerträglich sind? Der gesunde Menschenverstand sagt was anderes: Was du nicht willst, was man dir tu, das füg dir auch nicht selber zu!
Die meisten Coachees finden das spontan super, klauben dann aber nach Worten: Wie sagt man/frau das?
Das muss gar nicht bösartig formuliert werden. Ehrlich währt am besten: „Wir haben jetzt sehr konstruktiv gearbeitet. Ich finde, alles ist gesagt. Ich möchte jetzt nicht wieder in diese alte Diskussion einsteigen, das möchte ich mir nicht zumuten, ich klinke mich hier aus.“ Und dann aber wirklich raus, ohne die zu erwartenden Widerworte abzuwarten. Nennt man/frau einen Walkout.
Das machte die Coachee im nächsten Meeting. Und fünf KollegInnen standen spontan mit auf und sagten: „Geht uns auch so. Und schon lange. Wir sind hier raus.“ Der diskussionsfreudige Kollege war erst mal zu baff, um was zu sagen. Dafür sagte er im darauffolgenden Meeting etwas.
Er entschuldigte sich. Erst der Walkout hatte ihm gezeigt, dass er eine Grenze überschritten hatte. Die Grenze des Zumutbaren und Erträglichen. Er räumte selber ein, dass er wohl zu sehr aufs Problem und zu wenig auf die Lösung fokussiert gewesen war.
Merke: Ein Walkout ist nicht das Ende der Kommunikation, sondern ein Mittel der Kommunikation. Wenn es nicht anders geht, dann geh einfach. Raus. Nennt sich auch Musterunterbrechung. Man kommt auf diese Weise aus Teufelskreis und Problemtrance raus. Wenn du dich nicht traust, kannst du auch um eine Pause bitten und einfach aufstehen und rausgehen. Die taktische Pause ist die kleine, sehr höfliche Schwester vom Walkout. Beide Schwestern aber gehören zur Familie der Wieso-um-Himmels-willen-soll-ich-mir-das-zumuten?
Ich sage nicht, dass das einfach ist. Einfacher ist es, sitzen zu bleiben, mit den Augen zu rollen und das Vermeidliche über sich ergehen zu lassen. Leiden ist immer einfacher. Aber ist es nötig? Nützlich? Ist es das, was dir guttut und was du für dich möchtest? Wir sind keine Kinder mehr. Wir sollten hin und wieder für uns selber einstehen.