Wie bitte? Was? Schon Mutter sagte doch: „Kind, streng dich an!“ In der Schule kriegen wir Noten nicht fürs Faulsein, danach kommen wir in die Leistungsgesellschaft, werden nach Leistung bezahlt und jetzt heißt es plötzlich: Denk faul?
Als ich das selber zum ersten Mal hörte, dachte ich auch: Leute, ihr spinnt doch! Vor einigen Jahren sagte das mein damaliger Chef, ein Brite, zu mir. In einer eher heiklen Situation: im jährlichen Mitarbeitergespräch.
Er meinte: „Toll, was du alles vorantreibst. Das ist super, aber ab und zu solltest du auch das Gegenteil tun: Think lazy!“ Ich war irritiert, um es milde auszudrücken. Ich soll mich in die Ecke legen und nichts tun? So treibt man doch die Dinge nicht voran! Doch. Gerade so.
Und nirgendwo merken wir das heftiger und häufiger als in der Digitalen Transformation. Wenn Vorstände, Unternehmer, Managerinnen und Manager, leitende Angestellte und ProjektleiterInnen zu mir ins Coaching kommen, dann berichten sie: Was sie alles angekurbelt haben, was sie digital alles um- und vorantreiben, wie stark sie bereits transformieren – und jetzt knirscht es, stehen Teile still, geht es zu langsam voran (weshalb sie ins Coaching kommen) und sie fragen: Was kann ich tun? Oder: Was soll ich denn noch alles tun? Und die überraschende Antwort ist häufig: Nichts!
Es gibt viele Prinzipien der Digitalisierung: Fail Fast, Smart Startup, Agile, User Experience, Design Thinking … Wir kennen sie alle. „Think lazy!“ kennen die wenigsten. Hier. In Deutschland. Weil: Wir Deutschen sind nicht so. Wir sind nicht faul, wir sind fleißig. Wir sind der Inbegriff des Fleißes. Wir sind umtriebig, immer aktiv, engagiert, dynamisch und pflichtbewusst und auf uns kann man immer zählen. Das ist gut so und das will ich uns nicht nehmen. Wir vergessen nur eines dabei.
Wir vergessen: Das alles sind typische Tugenden des Tayloristischen Modells. Und Taylor war gestern. Heute ist Digitalisierung. Und morgen. Und übermorgen. Wenn wir Startups anschauen oder auch Internet-Größen wie Google oder Amazon, dann machen die eben nicht immer nur ihre Effizienzprojekte, ihren Taylor und Höher! Schneller! Weiter!, sondern eben auch: Lazy! Google hat zum Beispiel seinen Google Friday.
Jeden Freitag machen die Abteilungen nicht länger höher, schneller, weiter, sondern pflanzen sich irgendwo in die Lobby oder Landschaft und denken quer, kreativ, lateral, entwerfen neue Konzepte und Geschäftsideen, kurz und gut: Sie brüten neue Ideen aus. Das machen wir alle. Wo?
Unter der Dusche, beim Rasieren, Haare föhnen, beim Gassi-Gehen mit dem Hund. Dabei machen wir eigentlich „nichts“ und sind dabei doch so kreativ, genial, innovativ, agil. Das meint Think Lazy: Wenn du immer nur höher, schneller, weiter denkst, dann fallen dir die echt genialen Sachen leider meist nicht ein. Nicht in dem für die Digitalisierung nötigen Maße. Denn das olympische Prinzip führt ja lediglich zu inkrementellen Verbesserungen von etwas Vorhandenem. Ich verbessere damit etwas, was längst bekannt, vorhanden, eingeführt ist und vergesse dabei: Will das überhaupt noch jemand haben?
Das meint Think Lazy: Denk nicht nur immer schneller, höher, weiter – denk auch mal faul, also genial. Wenn ich das im Coaching anspreche, ist der Schock erst mal groß für alle Effizienztreibenden und KPI-Getriebenen. Aber nach ein, zwei Sitzungen, wenn die Zusammenhänge und Benefits klarwerden und auf die realen Gegebenheiten der Coachees transferiert sind, greift Begeisterung um sich: Das machen wir jetzt auch! Wie?
Du musst nicht wie Google gleich einen ganzen Arbeitstag dafür ausrufen – so viel Zeit hat niemand (außer Google). Es gibt nämlich daneben Dutzende Arten und Weisen, wie du in deinem Führungsbereich, deinem Arbeitsumfeld, deinem Projekt oder schlicht rund um deinen Arbeitsplatz herum lazy denken (lassen) kannst. Es geht einzig und allein darum, die für dich und dein Team, deine Situation und deine Firmenkultur richtige Art und Weise zu finden. Finden wir. Das ist auch nötig.
Denn viele Führungskräfte sind von diesem weniger bekannten Digital Principle so begeistert, dass sie es fortan wie ein Mantra vor sich hertragen und ihren Leuten immer wieder einbläuen: „Think Lazy!“ Das funktioniert bloß nicht. Denn spontan aus dem Stand heraus kann das kaum jemand. Auch das Geniale will nach Konzept, Inhalt und Zeitrahmen organisiert sein: What gets organized, gets done. Lass uns das zusammen organisieren. Oder organisier das selber. Dann klappt das auch mit dem Genialen.
