Digitale Transformation? Change-Projekt? Umstrukturierung? 5 Kilo abnehmen? Mehr Sport treiben?
Wir alle müssen, wollen, sollten uns verändern. Wir tun es nicht. Nicht oft, nicht schnell und nicht umfassend genug. Weil wir zu wenig Disziplin haben? Das kommt vor. In großen Veränderungsprojekten wie der digitalen Transformation kommt jedoch ganz oft etwas wirklich Verrücktes häufiger vor: Zu viel Freiheit! Betrachten wir ein Beispiel.
Ein großes Unternehmen digitalisiert. Die Abteilungsleiter warten auf „Anweisung von oben“. Doch die Geschäftsleitung sagt: „Macht einfach mal! Wartet nicht immer darauf, dass wir euch alles sagen. Auch wir wissen nicht alles. Nutzt eure Erfahrung und Kompetenz, um zu erkennen, was gemacht werden muss. Keine Bange! Es wird keiner gerügt oder gekündigt, der etwas im Sinne des Unternehmens tut – auch wenn es nicht hinhaut!“ Wenn ich davon in Workshops erzähle, springt die Hälfte der Teilnehmer auf und ruft: „Die können machen, was sie wollen? Da möchte ich auch arbeiten!“ Die andere Hälfte bleibt sitzen.
Und sagt: „Wir arbeiten bereits in so einem Unternehmen. Und haben dasselbe Problem.“ Nämlich: Es passiert nichts. Alle haben die Freiheit, zu machen, was sie machen wollen. Aber sie machen nichts/wenig. Und das Unternehmen driftet auseinander: Die „da oben“ werfen ihren Führungskräften Passivität vor, die Führungskräfte werfen denen da oben Ideenlosigkeit vor. Passieren tut nichts oder zu wenig. Und weil zu wenig passiert, breitet sich die Schreckstarre auch auf das operative Geschäft aus. Frust macht sich breit. Das Unternehmen fällt immer weiter hinter der Konkurrenz zurück. Oft werde dann ich gerufen.
sagt mir: „Machen Sie mal, dass wir schneller transformieren! Beschleunigen Sie die Prozesse! Mehr Digitales! User Experience! Google Sprint!“ Das könnte ich. Das tun auch viele. Ich nicht. Denn daran liegt es nicht. Woran denn? Worauf tippst du?
Am Vertrauen. 30 Jahre lang gab es diese Macht-doch-was -ihr-wollt-Freiheit nämlich nicht. Zig Jahre kam tatsächlich der Marschbefehl von oben. Und wer ihm nicht folgte, wurde abgewatscht. Das soll nun plötzlich nicht mehr gelten? Das glauben von den Abteilungsleitern die wenigsten. Die meisten misstrauen der neuen Gedankenfreiheit. Aber sie sagen es nicht. Sie sagen, wenn sie auf die mangelnden Veränderungsfortschritte angesprochen werden: „Ich hab auch noch was anderes zu tun! Ich hab dafür grad keine Zeit! Das Operative geht vor!“ Das sind alles Ausreden. Doch jene, die sich damit rausreden, glauben sie wirklich. Warum?
Weil sie das, woran es liegt, nicht aussprechen dürfen. Weil sie es seit Jahren nicht aussprechen durften, können sie es auch nicht mehr fühlen: ihr Misstrauen der neuen Freiheit gegenüber. Also machen wir im Workshop mit den 21 Führungskräften erst mal nichts, außer: Wir reden drüber. Wir reden drüber, was seit Monaten jeder fühlt, sich aber keiner zu trauen wagt. Wir reden über das tief empfundene Misstrauen: Meinen die da oben es ehrlich? Werden wir wirklich nicht bestraft, wenn mal was nicht hinhaut? Dieses Misstrauen muss aufgespürt und ausgesprochen werden.
Menschen, die sich in nötigen Veränderungen selbst blockieren, mangelt es selten an Intelligenz. Sie denken nicht zu wenig. Sie denken zu viel. Sie sind zu rational unterwegs. Zu rational für den Wandel. Sie gestehen sich ihre in aller Regel ambivalenten Gefühle nicht ein. Sie sagen: „Keine Zeit für den Wandel!“ und glauben es selber. Weil sie nicht in ihr eigenes Gefühl reinkommen: Misstrauen. Sobald man ihnen jedoch Zeit und Raum gibt, das Gefühl hinter den vorgeschobenen Gedanken zu entdecken, fallen die Ausreden weg. Und die Change-Blockaden. Die Handbremse löst sich.
Sobald man ein lang verdrängtes Gefühl (oder mehrere) laut aussprechen darf und zwei Dutzend Gleichgesinnte im Seminarraum nicken und sagen „So geht es mir auch!“, ist das Gefühl weg und mit ihm die Blockade. Gefühle verschwinden, sobald sie gefühlt und nicht mehr geleugnet werden. Gefühle heißen so, weil sie gefühlt werden wollen. Dann geben sie Ruhe. Werden sie bloß gedacht (also verdrängt), marodieren sie nur umso schlimmer.
In diesem Unternehmen war das Bremsgefühl das Misstrauen gegenüber der neuen Freiheit. Sobald es ausgesprochen, ausgefühlt und ausdiskutiert war, war es weg. Die Leute fühlten nicht mehr „Mach lieber nix! Wer weiß, ob die da oben es ernst meinen!“. Sie dachten jetzt: „Wir probieren das einfach mal. Wir können nur gewinnen. Wenn die es ernst meinen, haben wir gewonnen. Und wenn nicht, dann auch. Denn dann haben die den Schwarzen Peter.“
Wir alle wollen Dinge ändern. Fünf Kilo abnehmen, mehr Sport treiben, mehr Zeit für die Familie, mehr Erfolg im Job, die Abteilung restrukturieren, Prozesse schneller machen. Einiges davon klappt. Vieles nicht. Wir kommen nicht dazu. Wir haben zu wenig Zeit oder Disziplin. Andere funken uns dazwischen. Das sind die üblichen Begründungen. Die üblichen Begründungen sind Käse. Wir lügen uns selber was vor, weil wir nicht spüren (wollen), was uns wirklich bremst.
Sobald wir uns selber die Erlaubnis geben, unsere Bremsgefühle wieder spüren zu dürfen und zu wollen, löst sich die Handbremse. Wir tun, was getan werden muss. Wir verändern. Erfolgreich. Ich gebe zu, dass es nicht leicht ist, Gefühlen auf die Spur zu kommen, die zig Jahre lang verdrängt wurden. Manchmal hilft dabei purer Wille oder Wut über die Veränderungsstarre. Manchmal hilft psychologische Vorbildung. Manchmal ein Coach oder Prozessbegleiter. Ganz gleich, auf welchem Weg du zu dieser Erkenntnis gelangst, es ist immer dieselbe: What you can feel will set you free. Solange du nur denkst, bleibst du gefangen. Sobald du fühlst, befreist du dich. Just do it? Ja, wenn es so leicht wäre. Die Wahrheit ist:
Just feel it!
Das Tun kommt dann ganz von selber.