360°-Feedback. Im Report für den Vorgesetzten sagen ihm einige seiner Mitarbeitenden: „Sie sind stellenweise zu direkt.“
Damit ist nicht gemeint: Er gibt klare Anweisungen. Es ist auch nicht der harte Hund gemeint, der sein Team regelmäßig zusammenfaltet. Den erreicht auch kein 360°-Feedback. Wir wollen vielmehr über jenen Vorgesetzten reden, der formalisiertes Feedback ernst nimmt.
Der erschrickt dann erst mal: „Ach Mist, ich wusste gar nicht, dass ich manchmal so rüberkomme. Muss ich das jetzt ändern? Wie? Soll ich jetzt kuscheln? Was genau ist mit ‚zu direkt‘ gemeint?“ Das fragt sich jede und jeder nach 360°-Feedback. Die Frage ist: Wen fragt er/sie das?
Es gibt immer noch Unternehmen, in denen die am Feedback Beteiligten sich das selber fragen. Weil es nach dem Feedback kein Debriefing gibt. Das ist unentschuldbar – was scharfen Rechnern egal ist. Es ist aber auch rausgeworfenes Geld – was ihnen nicht egal ist: Wer Feedback ohne Debriefing bucht, wirft übern Daumen 80 Prozent seines Geldes zum Fenster raus. Weil niemand da ist, der den Gefeedbackten ihre Fragen beantwortet. Dann ändert sich auch nichts. Oder zum Schlechten: Viele 360°-Feedbacks haben sogar einen Negativtransfer. Irre eigentlich.
Aber auch zwangsläufig: Nach offenem, ehrlichem Feedback ist man immer etwas verunsichert (wenn man/frau es ernst nimmt). Manche Vorgesetzte werden erst durch diese Verunsicherung richtig schlecht (wie gesagt: Negativtransfer). Weil man es versäumt hat, den Report mit ihnen zu besprechen. „Aber das können Vorgesetzte doch auch selber!“
Was’n Quatsch. Fachvorgesetzte sind fachkompetent. Deshalb heißen sie so. Feedback und Reports gehören nicht zu ihrem Fach. Genausogut könnte man auch sagen, GuV und Bilanz aufzustellen können Vorgesetzte auch selber. Glücklicherweise ist das Debriefing im vorliegenden Fall im Paket mit drin. Deshalb fragt der im Sinne des Wortes betroffene Vorgesetzte: „Wie stelle ich das ab? Wie werde ich indirekter? Muss ich mich ändern?“
Ich sage ihm: „Erst mal nicht. Wir wollen erst herausfinden, was die Mitarbeiter damit gemeint haben könnten. Erinnern Sie sich an konkrete Situationen?“
Es sind meist die etwas stressigen Situationen oder wo Fehler passiert sind. Da sagt man dann schon mal: „Müller, was soll der Mist? Machen Sie das weg! Und dass mir das nie wieder vorkommt!“ Natürlich ist das zu direkt.
Damit wird auch klar, was der Vorgesetzte ändern muss: Nicht sich. Er muss nicht sich oder seinen Führungsstil ändern. Er kann immer noch klare Kante geben – nur bei aufgetretenen Fehlern und in Stresssituationen sollte er das Blaming, die Vorwurfshaltung und die persönlichen Angriffe auslassen. Im Report stand auch noch: „Sie sind oft zu pushy.“
Wir interpretieren das dahingehend, dass es ihm manchmal nicht schnell genug geht. Die wahrscheinlichste Auslegung ist, dass die Feedbackgeber gemeint haben: Er ist oft zu enthusiastisch, begeistert, brennend vor Tatendrang. Und wieder fragt der Vorgesetzte: „Muss ich das ändern?“
Die Feedbackgeber sagen: „Too pushy!“ Sie sagen eben nicht: „Ändere dich!“ Es ist ein Feedback, kein Appell zur Verhaltensänderung. Der Feedbackgeber sagt: Ich habe ein Problem damit!
Wenn er ein Problem hat, kann er es auch lösen (das Prinzip der sogenannten Problem Ownership). Wir können ihm dabei helfen, indem wir ihm beibringen, wie er mit einem Vorgesetzten klarkommt, der die Dinge vorantreibt und damit auch seinen Arbeitsplatz sichert. Wir können ihm zeigen, wie er sich effizienter selber organisiert, damit er das hohe Tempo mitgehen kann. Wir können ihm beibringen, dass ein hohes Tempo nichts mit einem persönlichen Angriff auf ihn zu tun hat. Wir können ihm beibringen, zu hohes Tempo auf der operativen Ebene vorgesetztengerecht zu moderieren und zu bremsen. Das alles können wir und der Vorgesetzte tun – aber er muss sich deshalb nicht ändern. Er sollte es auch nicht.
Das muss man und vor allem frau sich mal vorstellen: Du kriegst Feedback – und musst dich nicht ändern! Das ist keine Kunst. Die Kunst liegt in der Unterscheidung. Oder um das Gelassenheitsgebet zu variieren: Herr, gib mir den Mut, mich da zu ändern, wo ich mich ändern muss und die Gelassenheit, mich nicht zu ändern, wo ich mich nicht ändern muss, und die Weisheit, das eine vom andern zu unterscheiden.