Digitale Transformation, Change-Projekt, Reorganisation, neues Produkt, neue Software, SAP-Einführung … Welches Großprojekt ist es bei dir?
Die Führungskraft stellt sich also vor ihr Team und sagt: … Eigentlich ist egal, was die Führungskraft sagt. Die Leute glauben ihr sowieso nicht.
Und das sagen sie auch (wenn man ihnen zuhört). Sie sagen: „Das hören wir schon seit 30 Jahren, das hat nichts zu sagen, das sind sowieso immer dieselben Phrasen, Manager-Gequatsche, Bullshit Bingo.“ Sagen zwei Drittel der Basis. Egal, was der Manager da vorne auch erzählt. Ganz gleich, wie die Managerin es auch formuliert. Wer bei solchen Veränderungsprojekten vorne steht, kann nur verlieren. Die guten Führungskräfte wissen das. Also versuchen sie es auf tausenderlei Weise.
Der oberste Zuständige für die SAP-Einführung sagt zum Beispiel: „Leute, ich weiß, dass ihr von mir keine Predigt hören wollt. Also halte ich den Mund und ihr stellt mir alle Fragen, die ihr auf dem Herzen habt.“ Aha! Mal was Neues. Die Mitarbeiter sind begeistert. Sie stellen Dutzende Fragen. Die wenigsten kann der Topmanager beantworten. Er ist Finanzchef des Unternehmens. Und die Mitarbeiter fragen Sachen wie: „Wenn ich Unter-Menü X anklicke, kommt immer eine Fehlermeldung – wie vermeide ich das?“ Oder: „Auf welchen Knopf muss ich drücken, wenn ich …?“ Der Finanzchef ist Finanzchef. Er ist nicht SAP-Berater. Er kann das nicht beantworten. Er dachte, die Leute fragen nach Sachen wie: Welche Vorteile bringt SAP dem Unternehmen? Wie viel Euro können wir damit einsparen? Was geht damit alles schneller?
Viele Führungskräfte begehen diesen Irrtum. Sie glauben: Es geht um den Wandel, den Change, das Projekt, die Digitale Transformation! Aber die Menschen im Saal wollen bloß wissen: Welchen Knopf muss ich drücken? Wer zu Fragen einlädt, sollte die Antworten kennen. Alle. Oder jemanden dabeihaben, dem er bestimmte Antworten delegieren kann. Am besten ein Gremium, ein Podium, ein Team.
Selbst wer alle Antworten kennt, handelt sich oft noch das Urteil „Manager-Gequatsche“ ein. Wie die Bereichsleiterin, die bewusst lediglich 50 Minuten über den anstehenden Change informierte, damit die Leute in den letzten zehn Minuten ihre Fragen stellen können. Das taten sie. Sie stellten zwei Dutzend Fragen. Die Managerin schaffte nur drei Antworten – weil sie keine Antworten gab, sondern Referate hielt und weil danach die Zeit um war. Das Publikum sagte: „Erst schwadroniert sie fast eine Stunde, dann kneift sie uns nach zehn Minuten ab – und alle Fragen bleiben offen.“ Wie gesagt: Die guten Manager kennen das alles. Deshalb sind Rhetorik-Seminare für Manager auch gut besucht.
Der Haken: Sowas lernt man nicht in einem Seminar. Man lernt die Prinzipien und Techniken der Rhetorik. Man lernt Musterformulierungen und Stilvarianten. Dass man gestellte Fragen auch beantworten sollte und dass man so lange antworten muss, bis auch die letzte Frage gestellt ist, lernt man in Rhetorik nicht. Solche Selbstschussanlagen entschärft nur eine Vorab-Risiko-Analyse: Was passiert, wenn ich dies und jenes sage? Was passiert, wenn ich X Minuten informiere und Y Minuten Fragen beantworte? Welche Fragen werden kommen? Sind meine Standard-Antworten darauf ausreichend road-getestet? Man kann diese Risiko-Fragen auch zusammen mit seinem Assistenten, einem vertrauten Kollegen oder dem Beziehungspartner diskutieren. Aber diskutieren muss man/frau sie. Und das sind noch die einfacheren Fragen.
Eine viel wichtigere Frage ist die nach der Haltung. In der Regel reden ManagerInnen über Change mit der Haltung: „Ich erzähle euch jetzt mal, wie das alles funktioniert.“ Das passt zwar: Der Manager weiß, wie das zu laufen hat. Doch niemand, wirklich niemand, kein Mensch, einschließlich des Managers selbst, lässt sich freiwillig vorschreiben, „wie das zu laufen hat“. Niemand mag Bevormundung und niemand mag Oberlehrer – selbst Oberlehrer nicht. Die bessere Haltung ist: „Da kommt was auf uns zu. Lasst uns gemeinsam drüber nachdenken, wie wir das alles schaffen. Und sagt mir, wo ich euch dabei unterstützen kann. Ich kann euch nicht das Blaue vom Himmel versprechen, doch eines kann ich versprechen: Ich tue für euch alles, was in meiner Macht steht.“ Das wollen die Leute hören. Und nicht: Ich sach euch jetzt mal, wie dat läuft.
Manager können reden lernen. Managerinnen können reden lernen. Das einzige, was beide davon abhält, ist die Überzeugung, es bereits zu können. Solange die Mitarbeitenden das Gegenteil behaupten und es jedem erzählen, der es nicht hören will, ist diese Überzeugung keinen müden Cent wert.